B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 400

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digten. Ich entwarf einen dritten Akt, der wenige Tage
nach dem zweiten spielte: Marie war geflohen, hielt
sich selbst für verfolgt, kam in die Grünau, fand dort
den Arzt, und erfuhr erst von ihm, dass niemand den Mord
ahnte, den sie begangen. Anfangs befreit fühlte sie
sich dann nur um so schuldiger und führte das Stück
auf einen criminalistischen u. schiefen Weg. Uebrigens
war die Gefahr der Bühnenlächerlichkeit (zwei verschie-
dener und am selben Tag wiederkehrender Mädchen) im-
minent. Auch romantischere Einfälle tauchten auf: ein
letzter Akt, der hinter der Schlachtlinievorging; die
zwei Mädchen, die dem Herrn nachzogen; der Adjunkt,
der der verlassenen Marie in den Donauauen begegnet;-
so viel Einfälle, so viele Unmöglichkeiten. Immer wie-
der führte mich die Ueberlegung auf das Grundmotiv zu-
rück, das nun der Arzt gegen Schluss ausspricht. Wie
stark dieses Motiv in mir so bst wirkte, ersehen Sie am
besten daraus, dass ich eine Zeitlang daran dachte das
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Stück „Der Widerhall" zu nennen, womit auf die unge-
heuern Leb enstäuschungen hingedeutet werden sollte,
die dadurch über uns hereinbrechen, dass für tausender-
lei Beziehungen und Thaten und Gefühle immer nur ein
und dasselbe Wort Geltung hat, Vielleicht hätte ein
dramatisches Genie auch für die in der Idee des Stücks
begründeten Stille des letzten Aktes den dramatisch
lauten Ausdruck gefunden, irgend ein Geschehnis, das den
Geschehnissen des 1.u.2.Aktes dramatisch gleichwerthig
wäre - mir ist es versagt, und ich fühle, dass ich
über das, was ich im 3.Akt versucht habe, vorläufig (von
Dialogretouchen abgesehn) nicht mehr hinaus kann. Es
kan ein Augenblick, in dem ich mit der ganzen Sache in-
nerlich fertig war und fühlte, dass ich ausser Stande
wäre, mich weiter damit zu beschäftigen. Wer weiss
übrigens, ob der Fehler des Stückes eigentlich in die-
sem 3.Akt liegt? Vielleicht ist er vielmehr im zweiten
zu suchen, der - an sich gewiss ein glücklicher Wurf -