B16: Brahm, Otto 2 Arthur Schnitzler an Brahm, Abschrift (Fortsetzung) , Seite 22

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Wien; 16.3.1908.
Lieber Freund, wenn man, wie ich unbescheiden beginne,
von uns absieht, haben Sie diesmal durch Ihr Fernblei-
ben von Wien nicht viel verloren - ein quatschiges
Märzwetter, das nun in unfreundliches Winterspiel über-
geht. Im Grunde haben wir uns noch alle nicht ganz er-
rafft, Olga eigentlich schon mehr als ich, dem es mit
den Nerven recht miserabel geht, was sich physisch
in einem beinahe ununterbrochenen Kopfdruck und pay-
chisch in einem mangelnden Arbeitsmut ausdrückt, Bes-
ser sagte ich: Begriffsmut; denn Visionen sind da,mehr
als das, weit und präzis geführte Pläne; Gestalten von
lockender Lebendigkeit;- aber ich schwanke von einem
Stoff zum andern ohne mit entscheiden zu können.
(Manches ist szenen-ja aktweise schon hinge schrieben.)
Es sind ganz besonders (um nur vom dramatischen zu re-
den) drei Stücke, um die es sich dreht; eine dreiaktige
Komödie, ein fünfaktiges Schauspiel, eine phantastische
Historie in etwa 20 Bildern (genug?) - aber allerlei
(16.3.08.)
anderes ist so weit vorgerückt, dass es doch noch frü-
her drankommen kann.-
-Zum Ruf: die Aenderungen, die ich vor hatte, haben sich
als (für mich) unmöglich erwiesen, im ersten Drittel
des dritten Aktes (bis dahin hatte ich diktiert) zeig-
ten sich unüberwindliche Hindernisse. Nun habe ich mir
das Drama noch einmal vorgenommen, und versucht, auf dem
früheren ethischen und szenischen Grunde weiterzubauen.
Ich habe gewisse dialectische Verstiegenheiten aus dem
ersten eliminiert; am Schluss des zweiten eine neue
Szene geschrieben, so dass Marie sich im Vollbesitz
ihrer Jungfräulichkeit entfernt und dieselbe“ soweit
es ihr „wohl zuzutrauen ist") im dritten noch besitzt
(nicht aus sittlichen, sondem aus logi sch-physiologi-
schen Bedenken (meinerseits). Und nun diktier ich den
dritten ganz neu, der an manchen Stellen einen auffallend
schlechten Dialog hat; mache gewisse Umstellungen, lasse
die Katharina (Frl.Orloff) im Zimmer, nicht auf der