59
Brandes.
Kopenhagen, 21. Juni 1925.
Mein lieber Freund.
Sie waren diesmal wieder sehr gütig gegen mich in Wien. Ich
ging nach Salzburg, verlor aber dort vier Wochen mit Bronchitis, bin
hier, und kann über die Gesundheit nicht klagen, obwohl der Sommer hier
kalt und unheimlich ist.
Ich hätte Ihnen sehr gerne mein kleines Buch Hellas ge-
schickt, aber leider durch allerlei Verlegerschwierigkeiten lässt die
deutsche Uebersetzung auf sich warten.
Es war schön, Sie und Ihr Haus wiederzusehen. Es tut mir
leid zu merken, dass Ihre Stimmung nicht heiter war. Sie waren nicht
deshalb weniger liebenswürdig, aber ich gönnte Ihnen mehr Lebensfreude.
Man hat ja seitdem ein älteres Schauspiel von Ihnen im Burg¬
theater aufgeführt; ich hoffe, dass die Poesie des Stückes zu ihrem
Recht kam. Es muss doch ein angenehmes Gefühl sein, auf viele Menschen
zugleich zu wirken. Sie sind diesem Genuss gegenüber wohl etwas ver¬
wöhnt und blasiert, aber nicht desto weniger 1
Ich wurde eingeladen, die Festlichkeiten wegen des 200 jähri-
gen Bestehens der Akademie der Wissenschaften in Leningrad (!) mitzu-
machen; sie strecken sich in Petersburg und Moskau von 6.-16.Septem-
ber, aber ich wollte als Gast nicht heucheln, und Entzücken über den
jetzigen Zustand in Russland wäre meinerseits Heuchelei. Reden müsste
ich ja, und das schreckte mich. Sonst hätte ich gern die zwei Städte
unter den veränderten Umständen wiedergesehen.
Sie waren sehr lieb so wohl gegen meine Begleiterin wie
gegen mich.
Leider reist jetzt Frau Rung mit ihrem Gatten und ihrer
Cousine auf 6 Wochen nach Italien. Ich kann ohne sie meine Korrespondenz
nicht bewältigen.
Sie wissen kaum, wie dankbar ich mich im Innersten für Ihre
vieljährige Freundschaft fühle. Ihr Georg Brandes.
G0 59
Brandes.
Kopenhagen 12. Juli 1925.
Freund!
Haben Sie herzlichen Dank für herxliche Worte. Unter Ihrem Uebeln
scheint einem 83 Greis das Ohrleiden das einzig ernste. Glücklicher-
weise ist es nicht schlimmer, als dass Sie sich gastfreundlich mit
den Leuten unterhalten können, und theatralischen Erfolg erleben. Ich
las kürzlich sehr gerne aufs Neue Beatrices Schleier und fand darin
Tiefen, eine Einsicht in die Frauenseele, die ich nie gehabt habe
und nie erwerben könnte. Bin dazu geschaffen von complizierteren
Frauen an das Nase herngeführt zu werden und nur die einfachen zu
verstehen.- Sie sind und bleiben für mich der Angelpunk Wiens. Da
Sie mit vielen Menschen und mit dem Theater zu tun haben, kennen Sie
nicht mein Los, die Einsamkeit. Alle fast sind gestorben, die mir nahe
standen, alle die wenigen, in die ich Vertrauen haben konnte. Und ich
mache keine neuen Bekanntschaften, habe zu viele Täuschungen erlit-
ten. Unter uns - bitte sagen Sie es Niemand - die sogenannte Mensch-
heit ist eine abscheuliche Bande. Es gibt ja glücklicherweise einige
Ausnahmen.- Kopenhagen ist im Sommer eine Wüste, aber ich mag nicht
seisen, arbeite stetig, aber es ist "die Arbeit des schlechten
Kopfes", wie mein alter Schuldirektor sagte, wenn ich meine Irrtümer
mit meinem Fleiss entschuldigen wollte.- Sie haben doch wenigstens
Erfolge aufzuweisen, in meinem Fach gibt es keine Erfolge; ich
verkaufe 1500 oder 2000 Exemplare in meinem Patria und die Uebersetzun-
gen bringen nichts ein. Doch genug geheult und seien Sie innigst be-
dankt
Georg Brandes.
Brandes.
Kopenhagen, 21. Juni 1925.
Mein lieber Freund.
Sie waren diesmal wieder sehr gütig gegen mich in Wien. Ich
ging nach Salzburg, verlor aber dort vier Wochen mit Bronchitis, bin
hier, und kann über die Gesundheit nicht klagen, obwohl der Sommer hier
kalt und unheimlich ist.
Ich hätte Ihnen sehr gerne mein kleines Buch Hellas ge-
schickt, aber leider durch allerlei Verlegerschwierigkeiten lässt die
deutsche Uebersetzung auf sich warten.
Es war schön, Sie und Ihr Haus wiederzusehen. Es tut mir
leid zu merken, dass Ihre Stimmung nicht heiter war. Sie waren nicht
deshalb weniger liebenswürdig, aber ich gönnte Ihnen mehr Lebensfreude.
Man hat ja seitdem ein älteres Schauspiel von Ihnen im Burg¬
theater aufgeführt; ich hoffe, dass die Poesie des Stückes zu ihrem
Recht kam. Es muss doch ein angenehmes Gefühl sein, auf viele Menschen
zugleich zu wirken. Sie sind diesem Genuss gegenüber wohl etwas ver¬
wöhnt und blasiert, aber nicht desto weniger 1
Ich wurde eingeladen, die Festlichkeiten wegen des 200 jähri-
gen Bestehens der Akademie der Wissenschaften in Leningrad (!) mitzu-
machen; sie strecken sich in Petersburg und Moskau von 6.-16.Septem-
ber, aber ich wollte als Gast nicht heucheln, und Entzücken über den
jetzigen Zustand in Russland wäre meinerseits Heuchelei. Reden müsste
ich ja, und das schreckte mich. Sonst hätte ich gern die zwei Städte
unter den veränderten Umständen wiedergesehen.
Sie waren sehr lieb so wohl gegen meine Begleiterin wie
gegen mich.
Leider reist jetzt Frau Rung mit ihrem Gatten und ihrer
Cousine auf 6 Wochen nach Italien. Ich kann ohne sie meine Korrespondenz
nicht bewältigen.
Sie wissen kaum, wie dankbar ich mich im Innersten für Ihre
vieljährige Freundschaft fühle. Ihr Georg Brandes.
G0 59
Brandes.
Kopenhagen 12. Juli 1925.
Freund!
Haben Sie herzlichen Dank für herxliche Worte. Unter Ihrem Uebeln
scheint einem 83 Greis das Ohrleiden das einzig ernste. Glücklicher-
weise ist es nicht schlimmer, als dass Sie sich gastfreundlich mit
den Leuten unterhalten können, und theatralischen Erfolg erleben. Ich
las kürzlich sehr gerne aufs Neue Beatrices Schleier und fand darin
Tiefen, eine Einsicht in die Frauenseele, die ich nie gehabt habe
und nie erwerben könnte. Bin dazu geschaffen von complizierteren
Frauen an das Nase herngeführt zu werden und nur die einfachen zu
verstehen.- Sie sind und bleiben für mich der Angelpunk Wiens. Da
Sie mit vielen Menschen und mit dem Theater zu tun haben, kennen Sie
nicht mein Los, die Einsamkeit. Alle fast sind gestorben, die mir nahe
standen, alle die wenigen, in die ich Vertrauen haben konnte. Und ich
mache keine neuen Bekanntschaften, habe zu viele Täuschungen erlit-
ten. Unter uns - bitte sagen Sie es Niemand - die sogenannte Mensch-
heit ist eine abscheuliche Bande. Es gibt ja glücklicherweise einige
Ausnahmen.- Kopenhagen ist im Sommer eine Wüste, aber ich mag nicht
seisen, arbeite stetig, aber es ist "die Arbeit des schlechten
Kopfes", wie mein alter Schuldirektor sagte, wenn ich meine Irrtümer
mit meinem Fleiss entschuldigen wollte.- Sie haben doch wenigstens
Erfolge aufzuweisen, in meinem Fach gibt es keine Erfolge; ich
verkaufe 1500 oder 2000 Exemplare in meinem Patria und die Uebersetzun-
gen bringen nichts ein. Doch genug geheult und seien Sie innigst be-
dankt
Georg Brandes.