B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 37

Brandes. III
Kopenhagen.30. Dez.1925.
B 1/3
als liebster Freund.
Mein liebster Freund.
Das Jahr ist zu Ende, und ich habe Ihnen unendliches zu
danken, dass es in Wien für mich einigermassen gut ablief. Sie als
Arzt wissen, dass uralte Menschen meistens beschwerlich sind. Sie haben
es mich nicht fühlen lassen, aber Ihr Haus in Wien ist mir ein Heim
gewesen. Sie haben wohl in 35 Jahren unsere Freundschaft ununterbrochen
bewahrt, obschon Sie immer mehr leisteten, als ich im Stande war. Ihre
Gastfreundschaft Frau Rung und mir gegenüber wird mir unvergesslich
sein, was freilich ein bischen lächerlich klingt, da die 84 jährigen
sich gewöhnlich nicht lange einer Erinnerung erfreuen können. N'impor-
te! So lange wie das Tageslicht sehen, tut es nicht viel, ob wir
uns schaneller oder langsamer bewegen. - Ich habe Ihnen noch nicht für
die feine Erzählung Die Frau des Richters gedankt, nicht, dass ich
sie weniger schätze, aber ich hatte sie schon irgendwo gelesen, bewor
sie in Buchform erschien. Mit Freude las ich, dass Sie Theaterfolge
haben. Arm, wie wir alle sind, ist das von Nutzen. Aus vollem Herzen
Ihr
den Kindern
Georg Brandes
freundlich
Kopenhagen. 21. April 26.
1. ̃
Brandes.
1226.
Mein liebster Freund.
Sie sind einer der wenigen Menschen, dem ich nur Gutes ver-
danke, einen wahren geistigen Reichtum. Heute las ich zum zweiten
male - nach Monaten - Ihr tiefsinniges Drama über den Weiher, und verstand
es inniger als das erste Mal, hatte meine Freude daran. Sie haben dort
eine Saite angeschlagen, die in der Gegenwart selten gehört wird;
Verse klingen heutzutage selten von der Bühne, und Sie sind zu den
ausführlicheren Repliken älterer Zeiten zurückgekehrt; Aber Sie meistern
diesen Stil und Sie fesseln. Das Stück ist ein schönes Ganzes. Ich
habe keine Zeitungen in deutscher Sprache, weiss deshalb nicht, ob das
Stück aufgeführt worden noch ob es Erfolg hatte. Sie wissen, dass ich
Ihnen jeglichen Erfolg wünsche. - Ich denke mir, dass ich Anfang Mai
um meiner Gesundheit willen nach Karlsbad reise. Ich bin wohl mehr als
ein Dutzend Mal vor dem Kriege dort gewesen. Jetzt wird es wohl dort,
wie überall, ärmer sein. Die Sprache trennt mich leider von Ihnen. Mein
deutscher Verleger, Erich Reiss, hat Fallissement gemacht. Alles was
er mir schuldig war, seit Jahren, ist in Rauch aufgegangen.- Ich hoffe,
dass es Ihnen und den Kindern gut geht, Frau Gestrud Rung, die Sie
freundlich empfingen, liebt Sie sehr.
Ihr Freund