B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 68

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1. ƒ1.
Kapenhagen (genügende Adresse)
18.7 (18.9.18.)
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Verehrter und lieber Freund.
gen Besuch je seine Wohnung gesehen. Dann plötzlich in den fünf¬
sechs letzten Lebensjahren schloss er sich mit einer Innigkeit an
mich xx, dass ich eine Art Hauptperson in seiner Gedankenwelt wurde,
er vidmete mir öffentlich seine Bücher, schrieb öfters über mich.
natürlich meistens irrtümlich - aber mit dem besten Villen.
xxx Es war sehr, sehr traurig, die Abnahme seiner Kräfte zu
verfolgen. Man litt fast mit ihm. Sie, wie auch unser gemeinsamer Frauen
Und doch ertrinkt dies Einzelne in dem allgemeinen Jammer
der Menschheit. Glauben Sie nicht auch, dass diese Kugel, Erde genannt,
in dem Weltall den Record bestialischer Stupidität geschlagen hat? Es
scheint mir unmöglich, dass ein anderer globus von dümmeren und ekel-
hafteren Wesen bewohnt sein kann.
Ab und zu werde ich von Oesterreichern aufgesucht, aber
es ist zuletzt unerträglich, von seinen Landsleuten als Gebrauchsge-
genstand, von Fremden als Sehenswürdigkeit aufgesucht zu werden. Wenn
vierzig Briefe und 12 Bände pro Tag mit der Post kommen, und wenn es
alle drei Minuten an der Türe schellt, so ist es unmöglich, nicht zu
e Zuflucht zu irgend ein
wüthen. In Wien weilen, Sie haben wohl eher
ner Villa Sie irren sich völlig, wenn Sie glauben, dass ich hier für
einen Vertreter dänischen Geistesleben gelte. Die Zeit ist längst vorü-
ber. Ich habe mich von allem äusseren Leben zurückhezogen, um zu arbei-
ten, und betrachte es als meine einzige Aufgabe, der nordischen Jugend
gegenüber, sie mir vom Halse zu halten. Ich überlasse anderen die Freu-
den des öffentlichen Vortrags und des Beifalkiatschens.
die wieder Ihre Frau Gemahlin war mir in Vie 1913 eine liebe Virtin.
Ich sage ihr meinen Dank. Hoffe, dass Sie Freude an den Kindern haben. Ich
habe ein paar kleine Enkel, 10 und 5 Jahre, die selten hier sind, aber
für die bedauernswerten Städte Wien und Budapest, Fatersburg
sehr lieb.
Ihr Freund
Georg Brandes.
Kopenhagen(genügende Adresse)
13. Juni 20.
Verehrter und lieber Freund.
Kennen Sie die unverständlichen inneren Hindernisse, die es
uns unmöglich machen, einen Brief zu schreiben? Es gibt täglich so
viel zu tun, dass wenn ein Augenblick der geistigen Frische sich ein-
findet, man es als Pflicht und Notwendigkeit fühlt, diesen Augenblick
für die Arbeit zu verwenden. Und dann liegt es vielleicht daran, dass
man tausend Dinge sich zu sagen hätte, und nicht weiss, was herauszu-
greifen für einen elenden Brief. Sie, wie auch unser gemeinsamer Freund
Beer-Hofmann, sind mir in einem Menschenalter treu geblieben, und ich
gebe Ihnen nicht ein Lebenszeichen, nicht einmal wenn Sie mir Ihre
Werke schenken. Das Lächerliche dabei und das Unglaubliche ist, dass
ich immer und immer wieder an Sie dachte und mir sagte: An Schnitzler
will ich schreiben, und kam nicht dazu.
Ich glaube, dass wir, als Peter starb, ein paar Briefe wechsel-
ten, aber es ist lange her. Er starb Ende Juli 18. Gesehen haben wir
uns nicht sei Dezember 12, und was ist nicht in der Welt geschehen
allende Bewegung des Judenhassas i
seit jener Zeit!
Ich weiss ja, augenblicklich Nichts über Sie, nicht einmal,
ob Sie in Wien weilen, Sie haben wohl eher Ihre Zuflucht zu irgend ei-
ner Villa genommen; aber der Brief wird Sie hoffentlich finden.
In irgend einer Zeitung sah ich mit Freunden, dass Die
Schwestern einen grossen Bühnenerfolg gehabt haben. Ich finde das
Stück sehr fein, sehr unterhaltend und echt, bin leise erstaunt, dass
Sie in so trauriger Zeit sich den Mut und die Spannkraft bewahrt haben,
ein Lustspiel zu schreiben. Ich kann nicht glauben, dass was ich über
die niederschlagenden Zustände in Oesterreich erfahren habe, übertrie-
ben sei. Die Wandlung von dem Zustand vor dem Krieg zu dem jetzigen ist
für uns alle, auch für die früheren Neutralen, furchtbar, doch an al-
lermeisten für die bedauernswerten Städte Wien und Budapest, Petersburg