B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 5

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zwischen den historischen Werken Voltaires und den historische
Verken von Brandes, zwischen den Briefen, die der eine und die der
andere geschrieben hat, Vergleiche aufzustellen. Und dass, rein
äusserlich genommen, die Stellung Voltaires auf der Höhe seiner
Achtzigjährigkeit, zum Teile auch aus äusseren Gründen eine gewisser-
massen königlichere war als Brandes. sie heute einnimmt, das wissen
wir auch. wie Eigenart verspürten. Schon zu dieser Zeit bekommen
Aber worin sich die geistige Verwandtschaft zweier menschen sich
vielleicht am stärksten ausdrückt, das ist die Art ihrer Gegner. Und
Ihre Feinde, Georg Brandes, wenn Sie heute noch solche haben, man
kann es sich eigentlich schwer vorstellen, so stammen sie jedenfalls
aus der gleichen Gegend, in der man Voltaire sein gewaltiges Wort
"Ecrasez l'infames!" niemals verziehen wird. Es ist die gleiche Gegend,
in der Nationalismus, Skeptizismue, liberalismus gewissermassen als
mediokere Geistesverfassung gelten.Als wenn die verstandesmässige
Betrachtung der Dinge und Menschen, als wenn die Neigung zu Zweifeln,
als wenn die Ueberzeugung, dass Freiheit ein würdigerer Zustand der
Menschen wäre als die Sklaverei, als wenn diese Art die Welt zu be-
trachten, an sich von einem geringeren Seelenadel Zeugnis ablegte,
als jene anderen Geistesverfassungen, die mit ihnen im Widerspruch
stehen. und einem Brief, in dem Sie an irgend einem meiner Stücke
Ich müsste allzu ausführlich werden, um es vollkommen deutlich zu
machen, was ich hier meine und kann es mir ersparen, da Ihnen Allen
Georg Brandes heute im wahren Sinn des Wortes gegenwärtig ist.
Aber ehe ich schliesse, drängt es mich noch einige Worte persönlicher
Art an Georg Brandes zu richten und einige persönliche Worte des Dan-
kes diesen allgemeineren hinzuzufügen.
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ge sind nun mehr als dreissig Jahre, dass ich das erste persönliche
Wort von Ihnen vernahm. Es war ein Brief über die ersten Bücher, die
er schickte. Ein Kritiker fühlte sich beleidigt,
ich Ihnen
Wie viel bedeutete es für den damals noch beinahe Unbekannten, als
Sie ihm für diese Sendung nicht nur dankten, sondern als er überdies
auch Ihren Worten entnehmen durfte, dass Sie in diesen Büchern schon
irgend etwas wie Eigenart verspürten. Schon zu dieser Zeit bekamen
Sie 30-40 Bücher jeden Tag zugesandt. Dass Sie einem so gut wie un-
bekannten Autor so bald antworteten und wie Sie ihm antwornteten, wel-
ches hohe Gefühl für das Verentwortungsvolle Ihres kritischen Berufs
besten, als
ging daraus hervor.
Von diesem Augenblick an trotz monate-und jahrelanger Pausen blieb
unsere Verbindung aufrecht.
Wie erinnere ich mich noch jener ersten Begegnung 1896, als Sie krank
in einem Kopenhagener Hospital lagen. Seltsamer Zufall, dass auch
die letzte Begegnung vor dem heutigen Tage in einem Kopenhagener
Sanatorium stattfand.
Ich hatte den Einfall, stell aller Begrüssungsworte eine Auswahl
Ihrer Briefe vorzulesen. Es wäre beträchtlich amüsanter gewesen, aber
doch vielleicht etwas indiskret. Nur einen Absatz möchte ich vor-
lesen aus einem Brief, in dem Sie an irgend einem meiner Stücke
etwas auszusetzen fanden. Sie sagten: „Alle diese Einwendungen mache
ich, um mein Renomée als Kritiker nicht ganz preiszugeben. Denn mein
Vergnügen ist nur Sie zu loben. Wir werden alle dümmer, wenn man uns
lobt, aber wir werden es ohnedies, und es gibt keine angenehmere
Weise dümmer zu werden; Deshalb liebe ich selbst so sehr gelobt zu
werden."