B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 6

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Nun, die Liebenswürdigkeit anderer Kritiker hat mich vor dieser Ge-
fahr bewahrt.
Es war vor Jahren ein Streit: Ein Kritiker fühlte sich beleidigt,
weil ein Autor sich ihm als Schaffender gegenüberstellte.
Ein Wortstreit natürlich.
Es handelte sich nicht um Herabsetzung kritischer Tätigkeit gegen
über rein produzierender. Eine Kategorisierung war beabsichtigt. Gäbe
es lauter Kritiker Ihrer Art, so hätte sich ein solcher Streit nie
erheben können.
Ich grüsse Sie als einen der klarsten, als denen der freiesten, alz
einen der umfassendsten Geister, die heute leben. Es ist eine Freude,
dass Sie da sind. Erhalten Sie sich uns noch lange!
Es gibt auch, so seltsam es klingt, noch ein paar Dutzend grosser
Männer, über die sich Bücher schreiben liessen. Wir sehen den nächsten
zwanzig Bänden mit freudiger Erwartung entgegen.
P.P.
gasse 1
Juni 94.
Hochverehrter Herr,
es ist nicht schwer sich vorzustellen, wieviel Bücher Sie
zugesandt bekommen, und als ich mir erlaubte, Ihnen die meinen zu
schicken, habe ich natürlich gehofft - habe aber gewiss nicht darauf
gerechnet, dass Sie Zeit und Lust haben würden, die Bücher eines
ziemlich Unbekannten zu lesen. Und nun habe ich Ihrem Brief bekommen,
mit all dem liebenswürdigen und ehrenvollen, das er enthält; und
ich kann Ihnen garnicht sagen, eine wie tiefe Freude er mir be-
deutet hat. Auf eine kurze Reise, von der ich eben zurückgekehrt bin,
hatte ich Ihr letztes mir unbekanntes Buch "Menschen und Werke“ mit-
genommen. Ich bin es gewohnt, Ihre Bücher mit der stillen Bewunderung
zu lesen, die man grossen und fernen Geistern entgegen bringt; diesmal
habe ich aber auch andres empfunden. Ich glaube es war eine Art von
Stolz. Mit einem Mal ist meine Existenz in das Bereich Ihres Schauens
gerückt, und wenn ich Ihnen sage, dass ich Sie verehre, so geht meine
Stimme nicht unter den tausenden verloren, deren Namen Sie nicht ken-
nen. Diese vielleicht etwas hochmütige Empfindung blieb mir von der
ersten bis zur letzten Zeile,- und, ich will es Ihnen nur gestehen, sie
hat mir so wohl getan, dass ich mir sehr fest vorgenömmen habe, von
Ihnen nicht wieder vergessen zu werden. Ihre Worte, hochverehrter
Herr, sind mehr als Anerkennung, Lob, Ermuthigung - ich betrachte sie
als Würde, die mir verliehen ist; - lassen Sie mich Ihnen aufs innig-
ste dafür danken.
Es ist Ihnen, hochverehrter Herr, kaum bekannt geworden,
dass "das Märchen" bereits aufgeführt worden ist. Man hat es in Wien,
im Deutschen Volkstheater, gegeben. Die zwei ersten Akte gefielen;
der dritte missfiel so gründlich, dass er das ganze Stück mitriss.
Insbesondere scheint man über die moralischen Qualitäten des Stückes