Sie denn, ob Sie mit einem solchen Gebet nicht viel¬
leicht auf das Haupt eines andern — ob Sie nun wollen
oder nicht — Unglück, Vernichtung, Tod herab¬
flehen? — Und wahrscheinlich auf das Haupt des¬
jenigen, der minder schuldig ist?
KAPLAN. Nicht weiter, Frau Josefa.
JOSEFA. Es ist ein Duell auf Tod und Leben. Sie
haben es früher selbst gesagt. Und was ist’s, was Sie
vom Himmel erflehen? — Daß er sich zugunsten dessen
entscheide, der wahrscheinlich der Schuldigere, der
aber zugleich Ihr Bruder ist.
KAPLAN sich neu fassend. Ich weiß nicht, wer von
beiden der Schuldigere ist. Was Schuld ist, liegt meist
weiter zurück, als wir zu begreifen vermögen. Wir
urteilen nur mit unserem armen Menschenverstand
und mit diesem armseligen Verstand wählen wir auch
die Worte unseres Gebets. Er aber hört und erfüllt sie
nach Seiner Weisheit und in Seinem Sinn, nicht in dem
unsern. Es kommt nur auf das eine an, daß unser Gebet
aus einem gläubigen Herzen dringe und daß wir uns in
allem, was Er uns sendet, im Glück wie im Unglück,
gläubig bewähren.
JOSEFA. Und warum — wenn er allweise, all¬
mächtig und allgütig ist, warum gibt er nicht jedem
ein gläubiges Herz?
KAPLAN. Es ist genug, Frau Josefa. Jedes Wort,
das Sie sprechen, ist Lästerung. Ich will, ich darf Sie
nicht langer hören. Es könnte sein, daß Gott Ihre
Reden strafen wollte — und nicht an Ihnen allein.
JOSEFA. Sie denken doch nicht, Hochwürden, daß
der allgerechte Gott meine Zweifel einen andern, einen
Unschuldigen, einen, der kein Zweifler ist, könnte ent=
gelten lassen?
KAPLAN. Nicht die Ihren, nein. Pause, dann aus-
treckend. Aber die meinen vielleicht.
JOSEFA erschüttert. Hochwürden!
KAPLAN. Leben Sie wohl! Er will gelen.
Fischer-Verlag. Beilin
Im Spiel der Sommerlüfte
1. Fahnenkorrektur am 21. 8. 29
Bibliographiehes Institut, Leipiig
leicht auf das Haupt eines andern — ob Sie nun wollen
oder nicht — Unglück, Vernichtung, Tod herab¬
flehen? — Und wahrscheinlich auf das Haupt des¬
jenigen, der minder schuldig ist?
KAPLAN. Nicht weiter, Frau Josefa.
JOSEFA. Es ist ein Duell auf Tod und Leben. Sie
haben es früher selbst gesagt. Und was ist’s, was Sie
vom Himmel erflehen? — Daß er sich zugunsten dessen
entscheide, der wahrscheinlich der Schuldigere, der
aber zugleich Ihr Bruder ist.
KAPLAN sich neu fassend. Ich weiß nicht, wer von
beiden der Schuldigere ist. Was Schuld ist, liegt meist
weiter zurück, als wir zu begreifen vermögen. Wir
urteilen nur mit unserem armen Menschenverstand
und mit diesem armseligen Verstand wählen wir auch
die Worte unseres Gebets. Er aber hört und erfüllt sie
nach Seiner Weisheit und in Seinem Sinn, nicht in dem
unsern. Es kommt nur auf das eine an, daß unser Gebet
aus einem gläubigen Herzen dringe und daß wir uns in
allem, was Er uns sendet, im Glück wie im Unglück,
gläubig bewähren.
JOSEFA. Und warum — wenn er allweise, all¬
mächtig und allgütig ist, warum gibt er nicht jedem
ein gläubiges Herz?
KAPLAN. Es ist genug, Frau Josefa. Jedes Wort,
das Sie sprechen, ist Lästerung. Ich will, ich darf Sie
nicht langer hören. Es könnte sein, daß Gott Ihre
Reden strafen wollte — und nicht an Ihnen allein.
JOSEFA. Sie denken doch nicht, Hochwürden, daß
der allgerechte Gott meine Zweifel einen andern, einen
Unschuldigen, einen, der kein Zweifler ist, könnte ent=
gelten lassen?
KAPLAN. Nicht die Ihren, nein. Pause, dann aus-
treckend. Aber die meinen vielleicht.
JOSEFA erschüttert. Hochwürden!
KAPLAN. Leben Sie wohl! Er will gelen.
Fischer-Verlag. Beilin
Im Spiel der Sommerlüfte
1. Fahnenkorrektur am 21. 8. 29
Bibliographiehes Institut, Leipiig