A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 8

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An der schönen blauen Donau.
„Wollen wir nicht über Land fahren?" fragte ich, „das
2. Heft
blicke war ich nahe daran, über diese allgemeine Lebensfrische
Wetter ist günstig.
„O ja!" sagte er, und ich war ganz erfreut über dies
zu erstaunen. Man begreift die Gesundheit nicht mehr, wenn
man aus dem Hause der Verrückten tritt.....
Wir setzten uns in einen Wagen und fuhren dem Wiener¬
erste Wort.
Als ich zu Mittag bei meinem Freunde Ypsilan anklopfte
wald entgegen. Anfangs saß Ypsilan regungslos an meiner
ward mir nicht aufgethan. „Komm' Abends,“ sagte er durch
Seite; erst, als wir in's Freie kamen und die Bäume der
die Thür, „ich arbeite, Du störst mich
Landstraße uns überschatteten, sah er sich wie erstaunt um,
Abends widerfuhr mir dasselbe. Ich rief höhnisch hinein:
„Ist Türkisa noch nicht todt?“ Da hörte ich ein tiefes Seufzen.
als wollte er sich besinnen. Endlich lächelte er
Offenbar war die Arme ihrem Ende nahe. Ich empfand etwas
„Ist's nicht schön da?" fragte ich.
Er sah mich wieder lächelnd an, als wollte er sagen: „Du
wie Freude, denn ich hoffte, daß damit der Bann wieder
Narr, meinst Du wirklich, daß mir dies ernstlich helfen soll?"
Ich sprach weiter, so gut es mir vom Herzen ging, das
Auch am nächsten Morgen klopfte ich zeitig an seine Thür.
gelöst sei
sich sehr gepreßt fühlte, und redete von der großartigen,
Ich hörte kein „Herein“, doch gab die Klinke nach, und ich sah
versöhnenden Einsamkeit des Waldes, in dem wir jetzt
meinen Freund Ypsilon, der blaß und abgehärmt vor seinem
Er schloß die Augen, und seine Stirne runzelte sich.
fuhren.
Schreibtisch saß
Dann schüttelte er den Kopf. Ich hatte die Empfindung, als
„Ypsilon!" rief ich aus.
Er sah mich mit todesmatten Augen an.
wenn er sagen wollte: „Du wirst es doch nicht besser
„Was ist Dir?" fragte ich.
machen!
So führte ich in der Einbildung immer ein Gespräch mit
„Sie stirbt," flüsterte er
ihm, ohne daß er eigentlich den Mund aufthat. Es war ein
„Gott sei Dank!" entgegnete ich.
Sein Blick überschattete sich, er begriff diese Freude nicht
In einem stillen Waldwirthshause ließen wir uns ein
entsetzlicher Tag.
„Komm', Ypsilon," sagte ich, und ich fühlte, daß ein be-
Mittagmahl auftragen. Um uns flüsterte der Wald mit ge-
engender Schauder mir durch's Herz zog, „komm'!“
heimnißvollen Stimmen, und der Wind strich über die Wipfel.
„Ich kann nicht," erwiderte er und wies auf das beschriebene
Ich sprach meinem Freunde zu, von den vorgesetzten Speisen
zu nehmen, was er endlich befolgte. Nach ein paar Bisser
Papier, dann auf seinen Kopf.
„Du bist lächerlich, Ypsillon, Du bist ja krank."
aber legte er Gabel und Messer weg, sah mir voll ins Gesicht
„Rasch, rasch geht es zu Ende," sagte er, wie vor sich
und sagte: „Du bist ein guter Mensch, aber Du wirst es doch
hin, die Hand auf den Kopf pressend
„Aber das ist ja nicht nöthig." sagte ich und nahm ihm
nicht besser machen.
Ach! Dasselbe hatte er mir ja schon gesagt, mit seiner
die Hände von der Stirne, sie in die meinen legend
Er schaute mir wieder wehmüthig lächelnd in's Gesicht
verstehen ist nicht nöthig inalt Du? Du kannst das nicht „kummertrüben Miene.
„Nein, ich werde es vielleicht nicht besser machen,“ ent¬
gegnete ich, „aber es wird gut werden, wenn Du vernünftig bist.
„Wahrlich, Ypsilon! ganz wohl versteh' ich Dich, Du bist
Ich begreife Dich ja,“ fuhr ich fort, „mir fehlt das Ver
überangestrengt; Deine Nerven sind krank von dem überheftigen
ständniß nicht für Dein reizbares krankes Poetengemüth, Du
Reize, dem Deine wilde Plantasie Dich überliefert. Ein
wärst eigentlich gar kein Dichter, wenn Du in Deine Türkisa
gesunder frischer Hauch aus dieser lebenswahren Welt, und
nicht verliebt wärest.
„Und da sie stirbt, muß ich elend sein," unterbrach er mich
Alles ist weggeblasen.
Ich ging zum Fenster und riß es auf. „Fühlst Du es?
und sah mich bebend an.
Von dieser fixen Idee ließ er nun nicht mehr, und auf all
Merkst Du, wie übermüthig der Morgenwind da auf Deinem
mein Zureden hatte er nur mehr eine ablehnende Kopfbewegung.
Schreibtisch in den Blättern wählt, wie keck die Sonnenstrahlen
Ich fühlte, daß diesem Wahne gegenüber meine Weisheit zu
über Dein müdes Haupt und über den bestaubten Boden hinweg-
glänzen? Merkst Du, wie diese tausendfarbige Welt sich in
Ende sei.
Wir saßen geraume Zeit da, dann gingen wir auch im
das gebenedeite Blau des Himmels taucht?"
Walde umher. Es war ein entsetzlicher Tag. Wie verging er
Er sah meinen Blicken nach, zum Fenster hinaus. Er
mir? Kaum weiß ich's selbst, so schwer, so bange lasteten die
mußte blinzeln, das Licht that ihm wehe. Ich wandte mich nach
ihm um und zog ihn vom Stuhle auf, was er sich schier
Stunden auf mir.
Die Sonne stand weit im Westen, als wir uns wieder in
willenlos gefallen ließ.
den Wagen setzten. Die wohlausgeruhten Pferde trabten mit
Um ihn aus diesem unbewusten Geschehenlassen nicht
mehr aufzustören, schwieg ich und geleitete ihn so bis zum
vergnüglicher Schnelle über den Waldweg.
So waren wir eine Strecke weit gefahren, als ich bemerkte,
Stiegenhause. Da fuhr er zusammen, aber nur einen Augen-
blick, dann folgte er mit schleppendem Gange über die Stiege
daß mein Freund unruhig wurde
Die Sonne begann zu sinken, und die Dämmerung breitete
und ließ sich auf der Straße ohne Widerspruch von mir den
sich langsam über die Auen... „Schneller!" sagte er leise....
Arm reichen. Jetzt erst getraute ich mich, wieder zu reden.
Wir fuhren genugsam rasch, und da man schon die ersten
„Was ist's nun, Ypsillon?" fragte ich, „thut Dir diese
Häuser der Stadt am Ende der Landstraße gewahrte, schien es,
Luft nicht wohl?“
als ob wir noch vor Dunkelheit zu Hause ankommen sollten;
Er aber erwiderte nichts, und wenn ich hie und da ein
Gespräch einzuleiten versuchte, gab er keine Antwort.
doch die Akendschatten täuschten
„Schnell, schnell!" rief Ypsillon, so daß es der Kutscher
Unser Spaziergang führte uns an den Gärten der vor¬
städtischen Villen vorüber, und herrlich dufteten die morgend
hörte und seine Pferde antrieb...
lichen Blumen. Von den jungen Blüthen der Bäume strömte
„Was ist Dir denn?" fragte ich.
„Nach Hause!“ murmette er. „Ich muß zu Ende kommen.“
es würzig in unseren Athem. Die Brust hob sich stärker, der
Sein Athem ging rascher; in seinen Mienen zuckte es, zeit
Schritt wurde frischer und fester. Ypsilan aber wandelte weiter
weise saß er still da, dann wieder entstieg ihm ein jammer-
wie durch eine todte Landschaft. An einem Frühstücksplatz
voller Seufzer. In den Kastanien zu Seiten des Weges raschelte
ließen wir uns nieder, und gleich mir schlürfte auch Ypsilon
es, und ein kühlerer Luftzug erhob sich... Mich schauerte
seinen Kaffee, und mich wollte es bedünken, als wenn er zu
einem wirklichen Leben erwachte. Nach einem Schluck schüttelte
ein wenig....
er wol auch den Kopf und strich sich über die Augen.
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