A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 10

1889, 23. Kgl.
Seite 489
An der schönen blauen Donau.
21. Heft:
Binnen drei Tagen war nicht nur die Partitur, sondern
waren auch die Abschriften vollendet. Die Proben konnten be
der Gesellschaft der Musikfreunde und des Conservatoriums
ginnen, und bei der Aufführung erweckte das Werk des jugend¬
nnd außerdem wohlconditionirter Professor des Contrabasses
lichen Mus!kers den größten Enthusiasmus. Glöppl selbst ver¬
und der Posaune. Außerdem war er Haus-Administrator des
legte das Werk, überselig, daß sein künstlerisch-patriotischer
Musikvereins-Gebäudes unter den Tuchlauben, Besitzer eine
Gedanke eine solche Verwirklichung gefunden. Dasselbe erhielt
Lottocollectur und Tabaktrafik, deren eifrigster Kunde als starker
den Namen Fest=Ouverture und erschien „den Bürgern Wiens
Schnupfer er selber war, überdies Musikverleger und Musikalien
händler; ein wegen seines Strebens und seines Charakters
gewidmet“
Das ist die Geschichte der Fest-Ouverture, die in Wien seit
von Allen, die ihn kannten, respectirter Mann, dessen vielfache
vierzig Jahren fast alljährlich am 4. October als Einleitung
Geschäfte höchstens noch durch seine Kinder an Zahl übertroffen
wurden. Durch das Arrangement von Concerten und Musik-
der Festvorstellungen in den Wiener Vorstadttheatern mit sich
aufführungen hat er sich um fremde und einheimische Künstler
stets gleich bleibendem Erfolge aufgeführt wird.
vielfache Verdienste erworben. Dieser Mann nun erschien be
meinem Vater, um demselben im Namen des Bürgermeisters
Czapka den Wunsch auszusprechen, daß versuchsweise wieder
Einer armen Reichen.
ein sogenanntes Bürger=Concert abgehalten werden sollte
Diese Bürger-Concerte wurden in früheren besseren Zeiten
.Einsam weiß ich Dich jetzt lehnen
An dem Fenster, und Du weinst
alljährlich im großen Redoutensaal zum Besten des Bürger
Tage, die sich endlos dehnen,
spitalfonds veranstaltet und erfreuten sich der weitestgehender
Arm und freudlos hin; doch einst
Begünstigungen seitens des Allerhöchsten Hofes und des Bürger
Warst Du so unendlich reich,
standes. Im Jahre 1848 hatte keines stattgesunden. Die Er-
aß Du sahest ohne Thränen
trägnisse dieser Concerte waren sehr bedeutende, die künstlerischen
Dinken in des Abgrunds Gähnen
Erfolge große, meinem seligen Vater und mir brachten sie die
Uns'rer Liebe Königreich.
höchsten bürgerlichen Ehren: die taxfreie Verleihung des Bürger
J
es jetzt nicht Stunden geben,
rechtes der Stadt Wien.
da Dein Herz sich selbst besinnt,
Glöppl forderte nun meinen Papa zur Uebernahme
Dich ein dämmerhaftes Weber
der Leitung dieses projectirten Concertes und meinen Bruder
Georg und mich zur Executirung eines Viin - Doppel
Der Erinnerung umspinnt;
ße Träume, Sehnsuchtsweh,
her Deine Seele schweben,
concertes auf
„Aber," begann der eifrige Mann, „wieder die „amont"
Wie die gold'nen Lichter beben
Ouverture oder „Figaro“-Onverture möchte ich nicht gern haben
Ueber einen dunklen See —
Wir bringen etwas Neues, Packendes, etwas, was den Patriotis-
unden, da Dich kein Beschränken
aus zum Ausdruck bringt. Wenn ich nur wüßt', wem ich's
7
Menschlicher Gerre schreibt.
sagen soll von den Wiener Componisten, am Titl dem
Dir ein Duft, ein Klang das Denken
Binder, dem Proch. Ich weiß nicht, wenn wenn
machen
An versunk'ne Himmel weckt;
lassen soll?"
Stöhnend Deine Lippe klagt;
„Was denken Sie eigentlich, wie das Ding aussehen soll?
Thränenschwer sich niedersenken,
gegenfragte mein Vater.
Lider, denen Götter schenken
„Na, wie denn? I mein' halt: Als Einleitung müßt' si
Eine Labe, mir versagt —?
eine Art Revolution gezeichnet werden, so aufgeregt, furchtbar,
natürlich moll und presto. Das müßt' dann in ein Gebet, eine
All Dein Glück sind dann die Stunden,
Preghiera übergehen, wo die Völker Gott bitten, daß er sie
— Längst vom Strome fortgewiegt -
von allem Uebel erlöst. Dann hört man von der Ferne einen
Die in meinen Arm gefunden
Wortlos-selig Dich geschmiegt
Militärmarsch, wo contrapunktisch in den Mittelstimmen die
Traulich kamen sie einher —
Volkshymne angedeutet wird, bis dann zum Schluß von allen
Hättest Du sie leis’ gebunden,
Instrumenten fortissimo — aber ohne Contrapunkt — die
Die uns jetzt dahingeschwunden
Volkshymne voll angestimmt wird. Dann noch ein lautes Jubel
Wie die Schwäne über's Meer!
geschrei und — na, dann ist halt die Ouverture fertig
Das sprudelte der brave Mann eifrig heraus. Kaum war
Wien.
er fertig, schlich mein Bruder Georg hinaus. Die beiden alter
hermann hange
Herren blieben allein, um ihre Gedanken über diesen Vorschlag
auszutauschen und über Musik, Politik und Zeiten manch patrio-
tisches Wort zu wechseln. Nach einer Besuchsdauer von vier
Stunden wollte sich Herr Glöppl entfernen. Da trat ihm im
Vorzimmer mein Bruder Georg mit einigen frisch beschriebenen
Neues Leben.
Bogen, tintentriefenden Fingern und den Worten entgegen:
„Herr von Glöppl, die Ouverture wär' fertig."
Die Saat gesä’t an ihrem Grabe
Der so Angesprochene stand starr. Er wußte nicht, ob der
Ging mir mit Deinem Lächeln auf!
junge Mann ihn zum Besten halten wolle oder ob das Ernst
All’, was ich dort verloren habe,
sein sollte. Selbst mein Vater runzelte ein wenig die Stirn, er
Beschwörst Du an das Licht herauf
dachte im ersten Moment nicht anders, als sein Sohn erlaube
Wie aus der Himmel Dunstverhüllung
sich einen unziemlichen Scherz mit dem Gaste. Doch Georg
bestand auf seinen Noten. Er setzte sich ans Clavier und be-
Ein Sonnenspielen leuchtend brach,
gann zu spielen, während ich, zum Umblättern berufen, mein
Bist Du die schöne Glückserfüllung,
Die meinem Leid der Tod versprach.
Amt versah. Zu unserem allerhöchstem Erstaunen hatte Georg
in der That die Ouverture nach dem Programm Glöppl's com¬
Wien.
ponirt und zwar so vollendet, daß nichts zu thun übrig blieb,
als sie zu instrumentiren. Glöppl, mein Vater und ich selbst
waren entzückt von der Frische und Formvollendung des im
Handumdrehen entstandenen Werkes.
n