A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 11

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21. Heft
An' der schönen blauen Donau.
Seite 490
Ich stehe meist ein paar Schritte weit weg von dem Fleck
Erde, unter dem sie ruht... Wenn einmal das steinerne Grab¬
Der Andere.
mal aufgerichtet ist, so werde ich mich wol an die kalten Stufen
Aus dem Tagebuche eines Hinterbliebenen.
lehnen können, werde mein Haupt herabbeugen, wurde knien;
auf die Erde selbst stage ich mich nicht nieder. Mich schauert
vor dem Gedanken, daß Stücke von dem Staub unter mir weg
bröckeln, daß ich sie auf den Sarg aufschlagen höre.... Und doch
manchmal durchrast mich eine schier unbezwingliche Lust, mich
Athür schachler,
niederzuwersen, mit den Händen in der Erde herumzuwühlen
Meine Trauer hat nichts Mildes ich bin zornig, ich
Nachdruck verboten
knirsche mit den Zähnen, ich hasse Alles und Alle... Vor
allein! — Ganz allein..
Allem diejenigen, die mit mir leiden... Alle diese Männer, Weiber,
T
Vor meinem Schreibpulte sitze ich; die Lichter
Kinder, unter denen ich umherwandle, sie sind mir widerwärtig,
brennen die Thür zu dem Zimmer, das einst
ich möchte sie davonjagen.... Besonders hat der Gedanke etwas
das ihre war, steht weit offen, und wie ich
unsäglich Erbitterndes für mich, daß irgend wer gestern zum
meinen Blick erhebe, versinkt er in den dunklen
letztenmal da war. Er hat sein Leid zu Ende gelitten. Er
A
Raum. Glitzernd von den Häusern drüben spielen
hat gefühlt, daß es immer linder wurde.. er ist tagtäglich
G.C.F.P.
Lichtreflexe an meine Fensterscheiben
befreiter von hinnen gegangen. Und eines Morgens erwacht
neu, wie brutal das ist... Sie hat die Vor-
er und kann wieder lächeln... Wie hasse ich die Leute, die
hänge in meinem Arbeitszimmer immer nieder
wieder lächeln können. Aber eines Morgens werde auch
gelassen, wenn der Abend kam; kein Lärm der
ich wieder lächeln!... Auch ich werde vergessen!.. In
Straße, kein Licht des Gegenüber durfte zu uns
mir taucht heute die Erinnerung an meine Jünglingszeit
herein
auf.. wie ich an der Seite der Süßen, Liebsten durch den
Und die Stunden gingen hin. Ich bin auf und ab spaziert
Wald schritt und so unendlich glücklich hätte sein können....
in meinem Zimmer; auch in dem ihren. Auf ihnen Divan hab
Ich war es ja auch. Es gibt Augenblicke, die Alles ver¬
ich mich hingestreckt, bin da lang gelegen und habe in die über
schlingen, Vergangenheit, Zukunft, die eben die Ewigkeit selber
flüssige Welt vor den Fenstern hinausgestarrt.... Vor ihren
sind...sch habe nie zu Jenen gehört, die geruhig ihres
Schreibtisch hab' ich mich hingestellt, die Federstiele in den
Weges Seiten der Landstraße wandern, sich ab und zu
Händen gehalten, an denen noch der Duft ihrer Fangerspitzen
tiefer die Wiesen und Wälder verirren, und sich ins Grüne
haftet... Und vor dem Camin, dem ausgebrannten, bin ich
legen können, selig den Morgen eintrinkend. Auf die Bäume
gestanden, habe mit der Ofengabel in der Asche herumgewühlt...
bin ich gestiegen und habe ins Weite hinausgesehen, dorth
Und das zischelte und knirschte von zerstäubtem Papier und
wo die Landstraße im Grauen verschwindet
Kohlenstücken.
Hier Nachricht. und hier... hier in diesem Zimmer, beim
Fenster, war es ja, als mein Weib einmal zärtlich meine Wangen
Morgen für Morgen wandere ich auf den Friedhof hinaus.
küßte und mich ein so eisiger Schauer durchlief. Die Minuten,
Es ist heuer ein Spätherbst mit einer kalten und frechen Sonne
Stuuden, Tage, Jahre tollten davon, unsere Zeit war um.
und wenn ich die weiße Mauer von Weitem sehe, so brennen
Alt, Beide, das Ende, dass Ende!... So habe ich meine Liebe
mir die Augen. Dann wandle ich durch die Gräberreihen und
entheiligt, weil ich dachte, daß sie verblassen mußte... Und
betrachte mir die Leute, die da kommen, zu beten und zu weinen.
nun entheilige ich meinen Schmerz, indem ich daran denke, daß
Ich fange an, einzelne zu kennen... Sonderbar an diesen
ich wieder einmal lächeln werde!...
Gestalten berührt mich das Typische, das immer Wiederkehrende...
Das Mädchen, das schluchzend vor jenes Kreuz nahe der Capelle
hinsinkt, immer mit demselben Schluchzen, mit denselben Veilchen,
Wer ist jener Mann mit dem blonden Haar und den kla-
die sie auf die feuchte Erde hinlegt, und wenn sie dann auf-
genden Augen? Um wen weint er? Die Ruhestätte, die er
steht, immer der gefestigte Ausdruck im Antlitz, das rasche Weg-
Tag für Tag aufsucht, liegt wenige Schritte von dem Grabe
gehen.... Sie beweint einen Jüngling; er starb im vierund-
meiner Gattin.... Der Mann ist mir aufgefallen, weil ich ihn
zwanzigsten Jahre, gewiß, sie war seine Braut.... Immer packt
nicht so sehr hassen kann wie die Anderen. Er ist früher da
mich der Gedanke: Ja, wie kann sie denn da wieder aufstehen,
als ich und bleibt noch, wenn ich mich entferne.... Vielleicht
woher der getröstete Blick, mit dem sie von dannen geht?...
wäre icht nicht auf ihn ausmerksam geworden, wenn ich nicht
Ich möchte ihr nacheilen: Es gibt keinen Trost, Närrin!...
einmal seine Blicke mit einem Glanz so tiefen Mitleids auf
Und ich, der täglich da bin, was suche ich eigentlich?... Sie
mir ruhen gefühlt hätte, daß ich fast erbebte. Ich schaute ihn
ärgern mich manchmal, die Leute da mit dem Flor um den
sest an; er wandte sich langsam um und schritt der Friedhofs-
Hut, mit den dunkeln Handschuhen... Dabei sehe ich wol
mauer entlang... Ich muß ihn übrigens kennen... von früher
auch so aus, wie all die Anderen, blaß und verweint... Oh,
her. Aber woher?... Haben wir uns auf einer Reise ge¬
ich weiß es schon... ich bin eifersüchtig auf den Schmerz der
troffen?... Habe ich ihn im Theater gesehen?... Oder nur
Anderen, es geht mir hier, wie es mir mit erhabenen und
auf der Straße?... Er muß mein Schicksal ahnen und ein
entzückenden Dingen widerfuhr. Ich konnte den Ausdruck der
ähnliches erlebt haben wie ich; nur so erkläre ich mir jenen
Begeisterung auf den Zügen Anderer nicht vertragen, wenn ich
Blick, der mir unvergeßlich bleiben wird.... Er ist schön und jung.
mich an etwas Großem berauscht hatte.... Neidisch sah ich
meinen Nachbarn an, den ein gleicher Schauer zu durchfließen
schien, wie mich.... Etwas in mir lehnt sich dagegen auf, daß
Nun.. da ich wieder hier vor meinen Schreibtisch sitze
alle diese da zwischen den Gräbern herumirren mit demselben
und das Conterfei der Theuren, die mein Weib, mein Alles
unsäglichen, ewigen Schmerz.... Ach, es ist erbärmlich. Dasselbe
mein Glück, meine Welt war, von welken Blumen umrahmt
empfinden sie Alle, und dann rollen die Tage weiter... mit
vor mir steht.. kehrt mir die Besinnung langsam wieder. Tage
neuen Gedanken, frischeren Hoffnungen... am Ende kommt noch
wie die letzterlebten, rauben doch wahrlich jegliches klare Urtheil....
trügerisch und weich der Frühling und blüht Einem zudringlich
Ich habe heute Großes vor... das erstemal wieder seit einem
in's Gesicht.... Die Lüste wehen, und die Blumen duften, und
Monat will ich den Bücherschrank aufsperren, will wieder ver-
die Frauen lachen, und wir sind wieder die Genarrten, sind um
suchen, zu lesen, zt sichten, zn denken...
unsern großen und ewigen Schmerz betrogen...
A