A192: Der letzte Brief eines Literaten, Seite 11

nähern sah. Unsere Augen grüssten einan-
der ohne dass unsere Mienen sich beweg-
ten. Da wir uns in Gesellschaft schon
etliche Male begegnet waren, durfte ich
ohneweiters an sie herantreten, um sie zu
einem Tanz aufzufordern. Sie hiäkte,ver-
liess mit schweigendem Gruss ihren Be-
gleiter und im nächsten Augenblick schweh-
te sie mit mir dahin. Mir war als hielte
ich eine Träumende, wenn nicht eine traum
los Schlafende im Arm. Denn ihre Augen va
ren geschlossen und ihre Züge blieben
ohne Regung. Wir berührten einander
kaum, auch ruhten unsere Hände nur ganz lo¬
se ineinander, und doch wussten wir beide,
schon in diesem Augenblick, dass unser
Schicksal sich für alle Zeit entschieden
hatte. Plötzlich sah ich, wie ihre Augen
sich weit öffneten, ich spürte wie ihr
Körper, der bisher gleichsam gewichtlos
gewesen war, schwer und immer schwerer in
meinem Arm lastete,so dass ich alle Mühe
aufwenden musste ihn vor dem Hinsinken zu
bewahren; in einer mir selbst unbegreifli-
chen Weise gelang es mir sie unter dem An-
schein des Weitertanzens mit mir fortzuzie-
hen bis ich sie an den pand des Saals ge¬
halle
bracht, wo mir nichts übrig blieb, als sie
auf die stufen niederzulassen und vorerst
ihren vopf zu stützen, indem ich meine Hand
unter ihren Nacken legte. Sie war toten-
blass, die Lider geschlossen, sie schien
völlig ohne Bewusstsein.Etliche Paare in
unserer Nähe hielten im Tanzen inne, ein
paar Herren und Damen im Logengang erhoben
sich, einer brachte ein Glas Wasser herbei,
das er der Ohnmächtigen vergeblich an die
Lippen führte, Rufe nach einem Arzt wurd
hörbar, aber ehe noch einer zur Stelle war,
hatte sich durchs Gewühl in fliegender
Eile eine Dame herangedrängt,in der ich
Marias Mutter erkannte. Ohne mich zu be-