A20: Flucht in die Finsternis (Der Verfolgte, Wahnsinn), Seite 118

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Gespenst schwebte ihm die Gestalt jener armen Klavierlehrerin
durch den Sinn, mit der er seine letzte trübselige Liebes-
nacht verbracht hatte,und wieder regte sich der seltsame Zweifel
in ihm, ob in jener Begegnung sich nicht das Leben zum letzten
Mal mit einer Frage an ihn gewandt,die er gedankenlos,ja grausam
beantwortet hatte. Er erlebte es noch einmal in der Erinnerung,
wie das einsame Geschöpf aus dem davonfahrenden Wagen sich nach ihm
umgewandt. ihm traurig-ernst zugenickt und wie er selbst ihr
ungerührt und herzenskalt nachgeblickt hatte. Doch sah er sich
völlig anders, als er in jenem Augenblick und überhaupt jemals
ausgesehen haben komte. Uebergross und hager stand er da in ei-
nem fliegenden dunklen Mantel und warf einen schwarzen Schatten
weit vor sich hin. Diesen Schatten aber nahm er jetzt tatsächlich
wahr, da er gerade an der Laterne vorüberging, deren Licht gelblich-
trüb über dem Eingange des Gasthofs schimmerte.
Er trat ins Haustor und fragte für alle Fälle noch-
mals, ob nicht eine Depesche für ihn gekommen sei. Der Wirt klär-
te ihn auf, dass es in diesem kleinen Orte von sieben Uhr Abend
bis sieben Uhr Früh keinen Telegraphendienst gäbe. Nun kam Robert
auf seine erste Vermutung zurück, dass Paula den Zug versäumt
haben könne; und so durfte er noch immer mit der Möglichkeit ih-
res Eintreffens um zwei Uhr Nachts rechnen.
Er suchte sein Zimmer auf und legte sich unausgeklei-
det aufs Bett. Eine Stunde wollte er ruhen, denn Mitternacht war
vorüber, und sich dann wieder an den Bahnhof begeben. Er löschte das
Licht nicht aus und starrte von seinem Bett aus durch das gegen-
überliegende Fenster in die Nacht. Er sah nur den Himmel und eine