A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 63

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mannscher Prägung als Kunst der „ edeln Einfalt und stillen Grösse“ begeg-
nen. Ganz im Gegensatz zu den historischen Dramen liegt nach Oskar Walzels
Formulierung der künstlerische Reiz von Schnitzlers Gegenwartsstücken
in der geringen Spannweite der Gegensätze, aus denen die Tragik erwächst.
Das ist Dämpfung. Es gibt keine Geschehnisse von elementarer Wucht; die
Menschen spielen und tändeln durch das Leben, das ihnen keine Sorgen be-
schert. Im tiefsten Grunde sind sie einsam; „keiner kennt den andern, je-
der ist allein,“ wie Hermann Hesse einmal sagt, Leichter, feiner Spott
webt um diese Gestalten; und oftmals geistern auch die Schatten der Schwer-
Im „Einsamen Weg“ wirkt Schnitzler skeptisch, überfeinert, bleich-
mut über sie hin
süchtig. Alfred Kerr hält dieses Schauspiel, das sich durch 5 Akte hin-
den Herbst einer Jugend und den Herbst aines Geniessers, der
traurigfür ist, für einen Aschermittwoch nach einem holden, melancholi-
zieht,
schen Karneval." Echt impressionistisch kapseln sich die Personen des
Dramas ab, aus Wiederwillen, mit den Menschen zusammenzukommen. Daher
herrscht im Verkehr ein Vermeiden eines auf persöhnliche Angelegenheiten
sich beziehenden Gesprächs. Man sucht die andern über sich zu täuschen,
deutet immer nur an. Die Maske wird (nach Richard Hamann,, Der Jmpressio-
nismus in Leben und Kunet") das Symbol dieses modernen Lebens.“ Man will
sich in keiner Weise binden, beschliesst nichts, bleibt passiv und über-
lässt alles einer augenblicklichen Laune. So sagt schon Schnitzlers mAna-
tol" ; Vielleicht werde ich abreisen, - ja gut - aber ich muss mich dabei
überraschen - es darf kein Vorsatz dabei sein - der Vorsaz verdirbt alles!
Wir wissen der gedämpfte deutsche Ton Stil will Leben nicht übersteigern,
nicht in eine fühlbare Form drängen. Alles ist Entwicklung, noch nichts
ist ausgereift, wenn es auch geboren ist. Dieses Streben nach Reife des
Charakters und der Persöhnichkeit, sei es nun mit Erfolg gekrönt oder nich-
vollzieht sich bei den Menschen im „Einsamen Weg“ ohne jede Beeinflussung
von anderer Seite (die Beziehungen zu den Menschen „Einsamen Menschen
Gerhart Hauptmanns liegen nicht nur in der Ähnlichkeit des Titels'. Ein-
sam ist man, einsam die Sterbende, deren Sohn nicht das Kind ihrer Ehe
ist, einsam der Mann, den die Frau hinterging und die Tochter verlässt.
Einsam die Tochter, die in den Tod geht; Einsam der Mann, um dessentwillen
die Tochter stirbt. Einsam der Künstler, der den Weg zum Herzen des Sohnes
nicht findet. Endlich, wie Albert Soergel meint, "einsam alle, die über die
Höhe des Lebens sind.“ Etwas wie ein feiner, grauer Dunstfür scheint über
den Seelen dieser Menschen zu liegen, die von höchstem Misstrauen gegen je-
des pathetische Wort erfüllt sind. Da ist eine familie, in der die Frau den
Mann mit einem Künstler betrügt, der sie wieder verlässt, und der nach dem
Tode der Mitschuldigen vergeblich um die Frucht der sündigen Liebe, einen
Sohn, ringt; eine Familie, in der die Tochter den Vater verlässt und in den
Tod geht - keines findet das andere, jeder geht allein den dunklen Weg ins
Nichts. Sogar der Augenblick, der für den Eindrucksmenschen doch das ein-
zig wahre sein sollte, iste einsam: Gegenwart - was heisst das eigentlich)
Stehen wir denn mit dem Augenblick Brust an Brust, wie mit einem Freund, die
wir umarmen, - oder mit einem Feind, der uns bedrängt? Ist das Wort, das
eben verklang, nicht schon Erinnerung? Der Ton? mit dem eine Melodie begann
nicht Erinnerung, ehe das Lied geendet?“ Trostlose Hoffnungslosigkeit fin-
det den einzigen Weg aus der Einsamkeit nicht, den Weg zu Gott - das ist
die grosse Schuld solcher Dichtungen, dass sie so tun, als ob es nicht ein-
mal die Möglichkeit dieses Weges gäbe. Wie „Leutnant Gustl“ in der Monolog-
novelle gleichen Namens sich auf der Folterbank bestimmter naher Todesaus-
sicht windet, so hier Stephan von Sala, der ohne jede Erregung der letzten
Stunde entgegensieht. Er kennt seinen Zustand, wünscht aber nicht, dass der
Arzt ihm die Todesstunde vorenthalte, da er sich vorher noch ganz ausleben
möchte. Ihn liebt Johanna Wegrat, die Tochter seines Freundes, des Akademie
professors Hegrat, aber einzig darum, weil er dem Tode verschrieben ist.