A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 64

II
Auf der anderen Seite steht Julian Fichtner, der eine Frau,"die einmal
ein Kind (von ihm) hätte haben können, haben müssen (Inene Herms), und
die nicht Mutter geworden ist, „einer „dummen Geschichte“ wegen fortjagt,
da er zu dieser Zeit die Geliebte und spätere Gattin seines Freundes
Wegrat verführt hat und mit ihr fliehen will, aus Furcht vor Verantwor-
tung aber zur festgesetzten Stunde nicht erscheint. So wird ihm und
Frau Gabriele Wegrat ein Sohn, Felix, geboren, den aber der Professor
für sein eigenes Kind hält. Jahre eilen vorüber. Felix ist erwachsen,
seine Mutter gestorben, seine Schwester an Stephan gebunden, sein Vater
ein rastlos Schaffender und ein besorgter Hausherr. Da taucht plötzlich
Julian Fichtner wieder auf, der Freund Wegrats und Salas. Er ist lange
Jahre einsam gewesen und sehnt sich im Alter nach seinem Sohne, nach Lie-
be, die er vorher stets von sich gestossen. Freundschaft hält bei diesen
Menschen länger als Liebe. Wie sagt Sala zu Fichtner: „Übrigens ist es mich
nicht unmöglich, dass wir uns im vorigen Jahrhundert du gesagt, am Ende
gar, dass sie sich an meinem Büssen ausgeweint hätten.“ Was Sala mit
Fichtner verbindet, ist, „dass sie sich die Stichwörter so gut bringen!
Jetzt sind beide alt und wollen ihre letzten Tage der Liebe leben. Dazu
ist es aber zu spät. Felix sagt zu seinem wirklichen Vater: „Hier hat
man die Lüge ins Ewige getrieben. Darüber kann ich nicht weg., Und die das
getan hat, war meine Mutter - der sie dahin gebracht hat, waren Sie - und
die Lüge bin ich selbst, solange ich für einen gelte, der ich nicht bin.
- Es ist zu spät: ein Geständnis hebt eine Schuld nur auf, solange der
Schuldige dafür bezahlen kann. Diese Frist, sie fühlen es wohl selbst,
ist längst abgelaufen.“ Dass Fichtner nun den Weg hinab allein gehen
muss, daran ist das Fliehen vor Verantwortung, die Freiheitssehnsucht
schuld. Früher hat er Irene Herms weggejagt und Gabriele verlassen, heute
verjagt und verstösst ihn der eigene Sohn. Während er so einsam bleibt,
ruft sein Sohn Felix dem Behüter seiner Jugend, Vater“ zu. Wie Heinz Merter
meint, wird hier nicht Verbindung durch das Blut, sondern oneinng durch
den Geist geschlossen. Über diesen Felix weissagt der ernste Sala, ihm
scheine es, als ob jetzt ein besseres Geschlecht heranwachse, mit mehr
Sala will eine Exkursion nach dem Süden mitmachen, hofft er doch
Haltung" und „weniger Geist.
so, den Winter zu überleben. Johanna kennt aber die Todesstunde des Gelie¬
ten und meint, wenn Salas Ahnung von Winter und Schnee Wahrheit werde, sei
er lägst in einem anderen Frühling. Auf Salas erstaunte Frage: „Wie meins
du das?" antwortet sie: „Nun, dort wo ihr hingeht, gibt's doch wohl kei-
nen Winter wie bei uns.“ Diese Anspielung auf Salas Auslandsreise deutet
geschickt das wirkliche Ende und Ziel dieses müden Wanderrers zwischen
zwei Welten an. Verhalten, gedämpft ist die Art, dem Mitmenschen seine
Ansicht darzutun; es bleibt jedem Einzelnen der Schauspieler wie der Zu-
schauer überlassen, dieses Wortspiel so oder auch anders zu deuten.
Johanna nimmt Abschied von Sala und flüchtet aus dem Leben. Auf-
geregt sucht man nach Motiven für ihre Tat, keiner kann welche finden.
Ihr Bruder Felix sagt: Wer hat sie denn gekannt von uns allen? Wer küm-
ert sich denn überhaupt um die andern?“ Hierauf entgegnet der Haus-
Freund u. Arzt Dr. Reumann: Es ist wahrscheinlich gut so, sonst würden
wir alle toll vor Mitleid oder Ekel oder Angst." Hier sind wir bei einer
der für Schnitzler charakteristischsten Punkte angelangt. Die Schick-
alle der Menschen vollziehen sich, ohne dass der eine etwas vom andern
ahnt, wenn er auch mit ihm verbrüdert ist. Auch als zieht aus Johannes
Tode die Konsequenz und begeht Selbstmord. Es ist nicht ein wuchtiges
Geschehen, das hier tragisch ausklingt, wie wir es in den historischen
Dramen gesehen haben, nein, aus der Haltlosigkeit und Unbestimmtheit,
dem Zagen und sich-treiben-lassen der Personen des „Einsamen Weg“,
aus ihrem innersten unheldenhaften "Wesen heraus, erwächst die Tragik.