A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 75

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erwachen pflegt“? Glaubt man nicht Chamfort zu hören, wenn der
Dichter äussert: "Wer deine bittersten Feinde sind? Unbekannte,
dieahnen, wie sehr du sie verachten würdest, wenn du sic kenntest.
Dennoch atmet jeder dieser Sätze etwas vom Wesen Schnitzlers,
in ihrem Gefüge webt das Geheimnis der Persönlichkeit, das er
selbst einmal mit den Worten vorbildlich umschreibt: "Was als
Persönlichkeit wirkt, ist das Leuchten aller Möglich-
keit eines Charakters hinter seinen wirklichen und zu-
fälligen Lebensäusserungen." Zu dieser Persönlichkeit aber ge-
hört im gegebenen Falle auch die nicht allen Philosolphen verliehe-
ne Gabe, amüsant zu sein, das heisst, eine glückliche Beobachtung
derart zu formulieren, dass ein Lachen daraus hervorbricht. Alle W
Welt schreibt heute Memoiren. Und was sagt Schnitzler über die-
se Memoirenschreiber, ohne einem einzigen aus ihrer illustren
Schar persönlich weh zu tun? Er sagt, gleichfalls in einem Apho-
rima des genannten Buches, mit dem ernstesten Gesicht: "Man
hat es so leicht, seine Erinnerungen zu schreiben, wenn man ein
schlechtes Gedächtnis hat." Bergson sollte diesen lapidaren Satz
in sein Buch über das Lachen ( Le Rire) aufnehmen. Denn das
ist, wenn irgend etwas,wahre Lustspiel-Philosophie.
Der Probestein für jede Philosophie ist ihr Verhältnis
zu Gott. Wie steht es damit bei Schnitzler? Dieser feine Srepti-
ker, der seine Bekannten zeitlebens mit "Grüss Sie Gott", seine
Freunde, noch inkonsequenter, mit "Grüss Sie der Himmel!" begrüss-
te, galt bei Leuten, die ihm die herrliche Unabhängigkeit seines
Geistes und Charakters übernahmen, für einen sehr unsichern Kan-
tonisten in Glaubenssachen. Tartuff, der ihm den "Professor Bern-
hardi" nicht verzeihen konnte, sagte zwar nicht, dass er ihm dieses